„Der kleinste Feind ist wohl, der dir von außen droht; Der dir im Busen wohnt, verursacht größ’re Not.“
Andreas Tscherning
Wer mich kennt, der weiß: Ich liebe Zitate.
Und das Thema zu diesem Blog geistert mir nun schon eine Weile im Kopf herum.
Wenn man mehr mit der „Szene“ (Anmerkung der Redaktion: Die Bodybuildingszene) zu tun hat, dann dreht sich früher oder später alles um das Aussehen. Das ist ja in unserer Gesellschaft ohnehin schon über die Maße so, aber der Wettkampfbereich treibt das Ganze irgendwie auf die Spitze. Und wie immer bei solchen Extremen gibt es auch Schattenseiten.
Denn kaum einer sieht, wenn er die Athletin gestylt, gebräunt, geölt im Glitzerminidings auf High Heels on stage erblickt, was wirklich dahinter liegt.
Und damit meine ich nicht die Stunden auf dem Crosser, Stepper, an den Hanteln oder beim Friseur.
Damit meine ich den psychischen Aspekt. Den Teil, über den kaum jemand spricht, und denn doch alle Wettkampfathletinnen kennen – ebenso wie alle anderen Frauen.
„Dieser Sport macht aus Frauen Psychos“ ist eine Aussage, die mir immer im Kopf geblieben ist. Und die Gefahr liegt extrem nah, nach einer monatelangen Diät, strengsten Ernährungskriterien für Tag X in eine Loch zu fallen. Denn nach der ersten Wettkampfdiät bleibt eine Frage „unbeantwortlich“: Was ist normal?
Normal gibt es nicht mehr. Jedenfalls nicht in meinem Kopf – und vielleicht auch nicht in Eurem.
Ist es normal, alle 3 Stunden zu essen? Bei jeden Mahlzeit auf ausreichende Proteinzufuhr zu achten? Ist es normal abends mit den Mädels loszuziehen und auf der Karte direkt in die Steakabteilung zu blättern, weil man ja noch ein bisschen Eiweiß essen will zum Cocktail? Schlechtes Gewissen, weil man den Shake vergessen hat oder einfach mal ein trockenes Brötchen essen mag?
Und dann der hyperkritische Blick in den Spiegel… ich hatte es schon erwähnt: Wenn ihr einmal in Wettkampfform wart und wisst, wie Euer Körper aussehen kann, ist alles, was danach kommt nur noch Unzufriedenheit.
Dabei ist diese extreme Form von Tag X absolut nicht alltagstauglich, schon gar nicht aus gesundheitlichen Gründen. Und wenn man schon ein Sixpack hat, dann muss man sich meistens von dem Natur-D-Körbchen verabschieden. Wahrhaben will Frau das aber nicht.
Zu dem Spiegel gesellt sich der nächste „Feind“ hinzu: Die Waage.
Was ist ein normales Gewicht? Wie viel sollte ich wiegen? Ab wann ist es „zu viel“? Was ist Muskelschutz und was ist nur noch Speck? Ich hab mich mit +4kg über Wettkampfgewicht schon zu dick für einen Bikini gefühlt – ja hallo geht’s noch???
Und der schlimmste Feind von allen ist die Stimme in unserem Kopf, sind wir selber: So, wie ich manches Mal mit mir ins Gericht gehe, so würde ich mit keiner Freundin reden (und täte ich es, wäre sie vermutlich die längste Zeit meine Freundin gewesen).
Warum aber fällt es uns so schwer, mit uns selber etwas „netter“ zu sein?
Das bezieht sich nicht mal nur auf Wettkampfathletinnen sondern auf Frauen allgemein: Neulich abends zappte ich so durchs Programm (Schreibblockade) und blieb bei RTL2 hängen „Extrem schön“:
„Schöne Babys bekommen mehr Zuwendung, schöne Erwachsene haben mehr Erfolg. Doch was ist mit denen, die von der Natur nicht mit einem attraktiven Äußeren bedacht wurden? Die neuen Folgen von „Extrem schön! Endlich ein neues Leben“ zeigen Menschen, die aufgrund ihres Aussehens ausgegrenzt werden, ihr Selbstwertgefühl verloren und sich aus dem Leben zurückgezogen haben.“
Aber was man dort geboten bekommt kann in Wahrheit kein Schönheitschirurg der Welt operieren: Hass in einer absolut extremen Form gegen sich selber.
Es hat mich ehrlich bewegt, wie sehr diese Frauen sich selber ablehnen.
Und am Ende der Sendung mit 2 kg Makeup, Haarverlängerung, in ein Kleid gepresst und mit Limousine vorgefahren strahlen sie für die Kameras – aber was ist am nächsten Tag? Oder nächste Woche? Wo bleibt der wichtigste Aspekt neben all dem? Wie es innen aussieht? Erfolgt hinter den Kulissen eine Betreuung und ist diese nur zu langweilig fürs Publikum oder verzichtet man da schlichtweg drauf?
Die schöne Hülle allein macht doch nicht glücklich?
Oder doch?
Und: Wie weit ist man selber wirklich davon entfernt?
Schon klar, jetzt sagt ihr „aber soooo schlimm bin ich ja nicht drauf, mich stören nur die Fettpolster an der Hüfte/die dicken Oberschenkel/der Hängepo/…beliebig einsetzen“.
Und jetzt lasst das mal stehen, tretet einige Schritte zurück und blickt noch mal mit Distanz drauf: Wie weit ist man wirklich von dem heulenden Elend weg?
Natürlich sucht sich RTL2 die absoluten Härtefälle raus: Wenn ich mir 10 Jahre nicht die Zähne putze kann das nur zur absoluten Gammelkatastrophe im Mund führen. Und klar ist es nach 5 Kindern so, dass die Brust nicht mehr aussieht wie mit 18. Und wenn Frauen sich jahrelang nicht pflegen, nicht auf sich achten – ja woher soll das tolle Aussehen dann kommen?
Und was uns selber betrifft: Die Monate, Wochen, die man mit Wettkampfdiät verbringt, die sind doch irgendwie genug Zeit mit totalem Fokus auf das Aussehen; jede Falte, jede Ader, jedes Röllchen wird täglich beäugt und beurteilt.
Wenn man das nun noch die Zeit um diese Diät herum so fortführt, ja da kann man doch nur noch gaga werden.
Den Bezug zum normalen Leben verlieren. Zumindest was normal für mich bedeutet – denn: Was ist schon normal?
Worauf ich eigentlich hinaus will:
Wieso sind wir nicht einfach mal etwas netter zu uns selber?
Warum fällt es uns so schwer, uns selber anzunehmen? Warum sehen wir immer nur unsere Makel – in RIESENGROSSZOOM -, anstatt unsere Vorzüge? Warum so hyperkritisch? Warum konzentrieren auf das Negative anstatt auf das Positive?
Warum sehen wir auf Bildern nie unser strahlendes Lächeln – sondern nur die dicken Wangen oder unsere unmöglichen Haare?
Haben wir nicht alle genug mit negativen Menschen, Kommentaren etc. zu tun?
Warum nicht einfach mal ein wenig Leben? Ohne diese ständig mäkelnde Stimme in unserem Kopf?
Und mal ehrlich: Langsam wird’s da drin auch ganz schön eng: Der Chef/Büroalltag, der Partner, die Freundinnen, Schweinehund Walter, die sportelnde Nixe, die große Schwester oder Tochter, Familie etc. – das ist wie morgens im Bus: Irgendwann zu laut. Alle reden durcheinander, ziehen an Dir.
Wie wäre es mit „Einfach – mal – ausblenden“?
Und Euch morgen früh mal im Spiegel anzulächeln und zu sagen „Guten Morgen meine Hübsche!“… probiert es mal aus!